Phönix
„Ich habe drei winzige Kätzchen gefunden, was soll ich mit ihnen nur machen?“
Die Frau erzählte mir, dass die drei auf dem Asphalt gelegen hätten.
Die Nabelschnur war noch nicht einmal richtig eingetrocknet, sie waren also kaum ein paar Stunden alt.
Franziska nahm sie gleich in Empfang und wärmte sie an ihrem Körper. Zuhause betteten wir sie auf eine Wärmflasche und am ersten Tag fütterten wir sie mit verdünnter lactosefreier Sahne, danach haben sie natürlich Katzenmilchaustauscher bekommen.
Es war nicht schwer in der Nacht aufzuwachen, sie piepsten laut, wenn sie Hunger hatten und wir wechselten uns ab, denn zweimal wollten sie auf jeden Fall ihre Milch haben.
Bald waren Namen für die zwei Weibchen gefunden Luna und Lia, das Männchen sollte noch einige Zeit ohne Namen bleiben. Er war derjenige, der immer mit großer Gier trank, und seine Portion verschwand in Sekunden in seinem dicken Bauch. Danach wurde immer der Bauch massiert, bis ein dünner Harnstrahl zum Vorschein kam. Die zwei Mädchen tranken oft nur die Hälfte und sie waren immer viel schmaler. Aber auch sie wuchsen und langsam wurde ihr Fell sichtbar. Die Augen waren immer noch zu, aber sie krabbelten gerne am Hals von Franziska und unter ihre Haare.
Neville schaute zwar zwischendurch in die Kiste mit Wärmeflasche und Kuscheldecke, aber dann wendete er sich gleich wieder ab, als ob er sagen wollte „Iih, was ist denn das!“ Auch wenn wir ein kleines Kätzchen zu ihm legten, wenn er schlief, verließ er sofort seinen Platz sobald sich das Kleine bewegte und die suchten natürlich sofort nach Milch.
Eines Tages, als sie gerade eine Woche alt waren, wollte Luna nicht mehr trinken. Nach einigen Stunden war sie ganz schlapp. Sie trank nicht, piepste nur ganz jämmerlich. Ich fuhr nochmals in die Praxis um Infusionslösung, krampflösende Mittel und alles was ihr noch helfen könnte, zu holen. Es war schlimm in diesen winzigen Körper zu stechen. Doch die Behandlung zeigte keinen Erfolg. In der Nacht jammerte sie immer wieder, dann wurde es still.
Wenigstens ging es den anderen beiden gut und Luna war immer die kleinste gewesen.
Dann drei Tage später, ihre Augen hatten sich schon einen Spalt geöffnet, trank Lia nicht mehr. Ich versuchte noch andere Medikamente, aber als sie nach einigen Stunden immer matter wurde, beschlossen wir, dass ich sie einschläfern würde. Sie sollte nicht noch eine Nacht leiden müssen.
Ab diesem Tag mischte ich verdauungsfördernde Pulver zur Milch des kleinen Katers, vielleicht konnte das helfen.
Jetzt musste er aber doch einen Namen haben. Kein Vorschlag hat gepasst, bis Manfred die Idee hatte ihn Phönix zu nennen. Er war rot mit weiß und er war fast vom Tode auferstanden.
Er war gierig wie am ersten Tag und er wurde zusehends lebhafter. Ganz neugierig warteten wir darauf, dass er die Augen öffnen würde.
Er liebte Körperkontakt und er konnte stundenlang auf einem von uns liegen und schnurren.
Was er aber überhaupt nicht leiden konnte, wenn wir sein Hinterteil waschen mussten. Eine Katzenmutter schleckt ja ihre Jungen sauber und entfernt so Kot und Harn, wir mussten ihn halt immer wieder waschen. Da merkten wir bald wie kräftig er einmal werden würde.
Dann kam unser Urlaub, Franziska aber blieb bei ihrem Kind. Wir telefonierten täglich und die erste Frage war immer:“ wie geht es Phönix?“ Sie war dabei als sich seine Augen öffneten.
Allerdings musste sie mit Phönix auch zu meinem Kollegen, weil er eine Gelenksentzündung bekommen hatte. Ich hatte den Virus wahrscheinlich nach Hause mitgebracht, weil ich einige kranke junge Katzen in der Praxis behandelt hatte.
Als wir nach 10 Tagen wieder nach Hause kamen, war die Überraschung groß, er konnte jetzt richtig gehen. Die Augen waren offen, er sah aus wie eine richtige winzige Katze.
Bald sauste er wie wild über den Teppich und begann mit allem, was sich bewegte zu spielen.
Er krabbelte jetzt selbst aus seinem Kistchen und einmal habe ich ihn nicht wieder gefunden.
Zwei Stunden habe ich die Wohnung durchsucht, in jeden Winkel habe ich geschaut, alte Playmobile sind sogar dabei noch aufgetaucht, aber keine Phönix, mir wurde schon ganz Angst. Dann endlich entdeckte ich ihn unter dem Lederstuhl in seine Kuscheldecke versteckt, lag er da und schlief seelenruhig.
Dann mit fünf Wochen wollte ich ihm Futter geben, mittlerweile trank er ja seine Milch schon aus einem Schüsselchen, aber was ich auch probierte, es interessierte ihn nicht. Erst eine Woche später, als ich ihm ein paar Körnchen Trockenfutter hingelegt habe, begann er zu fressen.
Bernhard saß daneben “was ist das für ein Geräusch“ fragten wir uns. Phönix knurrt!!
Damit ja niemand nur im entferntesten auf die Idee kam, ihm sein Futter streitig zu machen, warnte er jeden, ihm ja nicht zu nahe zu kommen. Er, gerade einmal ein halbes Kilo schwer, war im Innersten mindestens ein Tiger.
Dann wollte er natürlich unbedingt das Futter von Neville fressen. So winzig er auch war, sobald er mit seinem Futter fertig war, zwängte er seinen Kopf zu Neville in die Schüssel, knurrte furchterregen und Neville ging. Das ging soweit, dass wir ihn, sobald er mit seinem Futter fertig war, ins Bad sperren mussten, sonst hätte Neville nicht mehr fressen können.
Einmal hat er sogar Franziska in die Hand gebissen, weil sie ihn von Nevilles Schüssel wegtragen wollte.
Zwischendurch hatte er immer seine Kuschelphasen, dann lag er bei uns und schnurrte bis er endlich einschlief. Zweimal muss er von seiner Mutter geträumt haben, er schmatzte ganz leise, so als wenn er saugen würde. Ich fand das so unendlich traurig, weil er ja wahrscheinlich nie bei seiner Mutter getrunken hatte.
Sein Verhältnis zu Neville wurde jetzt besser, bzw. er ließ ihm keine Ruhe mehr. Überall wo er ihn erwischte zwickte er ihn in die Beine oder in den Schwanz und er sprang ihn von hinten an. Es sah furchtbar aus, wenn Neville scheinbar in seinen Bauch biss. Wenn allerdings einer jammerte, dann war es Neville, wenn Phönix mit seinen spitzen Milchzähnen wieder einmal rücksichtslos zubiss. Neville konnte sich dann nur durch einen Sprung aufs Klavier retten.
Phönix hat den Spitznamen „MuskelKater“ bekommen, weil er mit seine spitzen Krallen überall einhakte und sich mit einem Klimmzug nach oben beförderte.
Wir beobachteten auch seine waghalsigen Sprünge und bald war Neville nirgends mehr vor ihm sicher. Natürlich gab es auch manche Abstürze, aber verletzt hat er sich dabei nie.
Als er eines Tages doch hinkte, bemerkte Franziska, dass er Brandblasen auf den Ballen hatte, er war also auf dem Herd gewesen.
Schon als er gerade richtig gehen konnte, schleppte er alle möglichen Sachen in seinem Mäulchen umher, kleine und größere Stofftiere und besonders meine Haargummis.
Dann hatte er es auf eine alte Stoffrose abgesehen. Wie ein kleiner Rosenkavalier kam er daher. Bernhard hat ihm dann beigebracht, die Rose wieder zu bringen, wenn man sie wirft.
Leider hat sich die Rose bald in ihre Bestandteile aufgelöst. Danach brachte er uns immer einen blauen Haargummi, wenn er spielen wollte. Er war unermüdlich, es war schon ein richtiges Ritual, am Morgen und am Abend kam Phönix mit diesem Haargummi daher.
Sogar hinter der Heizung fand er dieses Ding, holte es mit den Krallen heraus, beförderte es mit der Pfote in den Mund und kam wieder dahergelaufen. Ganz erwartungsvoll blickte er uns an und wartete darauf, dass wir es wieder ganz weit warfen.
Die Kämpfe mit Neville sind auch so ein tägliches Ritual die beiden sitzen sich zuerst gegenüber, starren sich an, dann heben sie bedrohlich die Pfoten. Dann versuchen sie sich gegenseitig zu beißen, das wird wiederum mit allen vier Pfoten abgewehrt. Phönix ist besonders rücksichtslos, auch mit sich selbst. Immer wieder hört man ein „tock“ Phönix ist mit seinem Kopf auf den Boden geknallt.